Goethes Wilhelm Meisters Wanderjahre und Hesses Das Glasperlenspiel spiegeln die pa¨dagogischen Visionen beider Dichter angesichts ihrer zeitgeno¨ssischen Forderungen wider. Harmonische Zusammenwirkung von vita activa und vita contemplativa steht als Hauptweisheit in diesen Alterswerken. Und zusammen mit der autonomen Entsagung bildet sie das Ziel beider erzieherischer Programme. Der Unterschied zeigt sich doch in beiden aus dem zeitlichen Abstand. Bei Goethe, der vor der industriellen Revolution der sozialen Forderung des neuen Zeitalters gegenu¨bersteht, handelt es sich mehr um das aktive Leben mit praktischer spezialisierter Berufsta¨tigkeit. Demgegenu¨ber geht es bei Hesse, der sich mit der geistigen Krise der spa¨tzeitlichen, hoch industrialisierten Bu¨rgerwelt des 20. Jahrhundert bescha¨ftigt, vorwiegend um das kontemplative Leben. Bemerkenswert ist aber trotz allen Unterschieden, daB beide Dichter je ein symbolisches Erziehungsmittel erfunden haben, um den unsagbaren Sinn und die Wirkungsweise ihrer Lehre zu vermitteln, na¨mlich die "dreierlei Geba¨rde" der "dreifachen Ehrfurcht" und "das Glasperlenspiel", Dieses Erziehungsmittel zieht seinen Zo¨gling nicht nur zum Erkenntnis, daB der Mensch im Leben vielseitig "bedingtes" Wesen ist, sondern auch zur Kontemplation, wie man die vorliegenden Probleme durch jede unvermeidlichen Gegensa¨tze des Lebens zur ho¨chst ausbalancierten, vollkommenen Lo¨sung fu¨hren kann. In beiden Werken bedeuten diese Erziehungsmittel eine "seelische Zucht", die ein "konzentriertes Selbstgefu¨hl" bzw. "Ehrfurcht vor sich selbst" mitbringt. Man braucht besonders in diesem digitalen Zeitalter, wo die Wissensbruchstu¨cke, allesleie Informationen und Kulturstoffe einer sinnvollen Wiedergeburt erwartend u¨berfluten, wo die Krise des "feuilletonistischen Zeitalters" noch nicht u¨berwunden ist, diesartige kontemplative Erziehungsmittel unvergleichbar. Denn diese zielen u¨ber allen unzula¨nglichen direkt mitten auf die Scheibe, auf das Vollkommene.