Alle Dramenfiguren sind sich darin einig, daß Philotas das Zeug zu einem Helden hat. Was ihm fehlt, sind Lebenserfahrungen. Er hat sich durch Erfahrungen zu einem reifen Menschen und zu einem menschlichen Ko¨nig wie etwa Arida¨us zu entwickeln, wobei er das Menschenleben zu respektieren lernen muB. Auf dem Weg zu einem reifen und weisen Menschen, der "doppelte Augen" hat, d. h. die Vernunft und das Gefu¨hl miteinander zu verbinden und den tiefen Sinn der Ereignisse der Welt zu durchschauen weiB, kann seine Gefangenschaft eine sinnvolle Erfahrung sein. Sie ist das Resultat seiner Eilfertigkeit, mit der er allein dem Feind "entgegen flog", um den Ruhm des Siegers an sich zu reißen. Er mu¨ßte aus seinem Unglu¨ck die wertvolle Lehre ziehen, daß man nicht voreilig handeln darf. Dazu ist er aber nicht fa¨hig. Sein Selbstmord la¨ßt sich auch auf seine Eilfertigkeit zuru¨ckfu¨hren, so bald wie irgend mo¨glich zum Heldenruhm zu gelangen. Das Drama zeigt am willku¨rlichen und - vom Standpunkt der Menschenliebe aus gesehen - sinnlosen Freitod des durch Heldenideale zur Unmenschlichkeit irregefu¨hrten Prinzen die schlechten Einflu¨sse des Patriotismus auf die Menschen. In seinem Einakter, der vor dem Hintergrund des 7ja¨hrigen Krieges spielt, schafft Lessing eine Situation, in der zwei Prinzen der beiden gegeneinander Krieg fu¨hrenden La¨nder jeweils vom Feind gefangengenommen werden, und er zeigt darin zwei Verhaltensweisen, die diametral entgegengesetzt sind. Wa¨hrend der junge und feurige Prinz um des Heldenruhmes willen sein Leben opfert, nimmt der reifere Ko¨nig die Schande des Besiegten in Kauf, um seinen Sohn zu retten. Arida¨us` Humanita¨t wird gegen Philota` unmenschliches Heldentum ausgespielt. Was die Form des Werkes betrifft, handelt es sich um eine Heldentrgo¨die. Die drei Einheiten werden im Sinne der klassizistischen Dramenlehre strikt eingehalten, und der Held stirbt einen Heldentod. Inhaltlich wird aber der Opfertod des Helden als eine unmenschliche und moralisch fragwu¨rdige Tat dargestellt und die Menschenliebe als eine Alternative dazu gezeigt. Damit ist 『Philotas』 ein Drama, das zwar a¨ußerlich die Form der Heldentrago¨die hat aber inhaltlich die Heldentrgo¨die kritisiert und Lessings Ansichten vom Trauerspiel konkretisiert, die er 『Im Briefwechsel u¨ber das Trauerspiel』 vertritt und deren Schlu¨sselbegriff das Mitleid ist.