Der Eros in Goethes Faust macht sozusagen eine Metamorphose durch, und zwar: in der neuzeitlichen Geschlechtsliebe (wie in der Gretchentrago¨die), in dem mythologischen Eros als Sehnsucht nach dem Sein (wie in der klassischen Walpurgisnacht), im scho¨pferischen Drang (wie im Helena-Akt), in der Hingabe an das Diesseits (wie im sogenannten SchluBmonolog) und in der urspru¨nglichen Seinsweise der "Urquelle", woher alles kommt und woraufhin alles hina¨uslauft (wie in der Schluß-Szene), Was heißt Lieben? Diese Frage kann man in Goethes Drama in die Frage umstalten: Was heißt Leben? Denn: Das Drama geht ins Wesen des Seienden hinein, indem sich der Eros in seiner historischen und auch enthistorisierten Tragweite entfaltet. Das Drama stellt den Tod dar, wie das Primat des Todes vor dem Leben im abendla¨ndischen Denken und Goethes - um mit Dilthey zu sprechen - "freudige Lebensbejahung" miteinander spielen. Die mittelalterliche Hierarchie von "Oben" und "Unten" im ersten Teil erlebt eine neuzeitliche Umwertung im zweiten Teil. Die scholastische Sehnsucht nach dem "Daru¨ber" tritt wie das Mittelalter zuru¨ck, und das Pathos zum "Hier" steht wie das neue Zeitalter im Vordergrund. Ein moderner Mythos des ewigen Fortschritts von Unten nach Oben wird durch die "Sorge" des Dramas entmythologisiert, so wie Faust, der die Sorge ablehnt, blind wird. In der "Schluß-Szene", wo Faust trotz all den tragischen Folgen seines Tatendrangs erlo¨st wird, entsteht somit das Paradoxon: Das mit der Tragik betitelte Drama endet mit dem "heitersten Schluß", so wie Goethe schreibt. Dieses Paradoxon zeigt sick jedoch als Horizontwechsel vom zeithistorischen zum ontologischen, womit das Zusammenspiel von Liebe und Tod auch zum heitersten SchluB des ganzen Dramas kommt.