Die bisherigen Untersuchungen zu dieser Erza¨hlung zeigen, wie verschieden der Charakter der Hauptfigur beurteilt werden kann. Ebenso kompliziert ist die zeitliche Ebene der Geschichte, in der sich die Figuren bewegen. Die Erza¨hlung gru¨ndet auf der historischen Geschichte des Hans Kohlhase, die vom fiktiven Chronisten in Kleists Zeit berichtet wird. In dieser Abhandlung wird versucht, die zeitliche Ebene unter historischem Aspekt zu beleuchten, anders formuliert, danach zu fragen, wann eigentlich Michael Kohlhaas lebte. Dafu¨r werden die drei Elemente betrachtet, die Kohlhaas mit seiner Zeit verbinden, na¨mlich die Fehde, das Luther-Bild und die zwei Staaten, Sachsen und Brandenburg. Zum ersten Punkt, der Fehde, la¨ßt sick feststellen, daß Michael Kohlhaas den Regeln der Fehde in gewisser Hinsicht folgt, doch mit der Verfolgung auf den Junker u¨berschreitet er die Grenze der Fehde. Ob er als Bauer - er besitzt einen Maierhaf in Brandenburg - die Waffen u¨berhaupt ergreifen darf, obwohl die Bauern durch den Ewigen Landfrieden la¨ngst entwaffnet worden sind, wirft ein kritisches Licht auf seinen Kampf. Besonders auffa¨llig ist seine Kampffu¨hrung. Die Kampfzu¨ge erinneren an den Guerilla-Krieg, der in Kleists Zeiten die preußischen Reformer faszinierte. Genauso fremd ist das Bild Luthers. Luther ist in dieser Erza¨hlung das einzige authentisches Element, das die Geschichte mit der Chronik verknu¨pft. Anders als historische Luther, zeigt sich Kleists Theologe als ein Vermittler zwischen Kohlhaas und Sachsen. Im Dialog mit Kohlhaas repra¨sentiert er die Ansicht des Staats, daß außerhalb des Staats keine Form von menschlicher Gesellschaft existiert. Dies widerspricht dem historsichen Luther, der die weltliche Ordnung als eine Gott untergeordnete versteht. Die Zweistaatlichkeit, die erst in der zweiten Fassung konzipiert worden ist, ermo¨glicht ein harmonisches Ende der Erza¨hlung. Im Verglich zu dem sa¨chsischen Kurfu¨rsten, der zwar menschlich wirkt, aber kein Souverra¨n ist, greift der brandenburgische Kurfu¨rst als eine gerechte Rechtsinstanz in die Auseinandersetzung ein. Damit, daß er den tu¨chtigen Stadthauptmann selbst ins Amt beruft, entsteht das moderne Beamtentum. Aus dieser Betrachtungen ist zu erschließen, daß die Erzahlung viele Elemente aus Kleists Zeit in sick hat. Dies ist wiederum ein Zeichen dafu¨r, daß sich der Autor nicht von seiner eigenen Zeit distanziert.