Die Forschungen zur Poetik von Novalis befinden sich in standiger Entwicklung. Seit Neuestem interessiert man sich in diesem Zusammenhang besonders fur seine naturwissenschaftlichen Erkenntnisse. Er war einer der wenigen Romantiker, die naturwissenschafltlich ausgebildet waren. Und er hat "eine mogliche Verbindung zwischen Naturwissenschaften und Literatur nicht nur methodisch reflektiert, sondern derartige Verbindungsmoglichkeiten innerhalb seiner literarischen Produktion auch konkret erprobt." Die vorliegende Untersuchung will nun aufdecken, dass die Wurzeln der romantischen Literaturtheorie von Novalis eigentlich in den mathematischen, physikalischen, chemischen und medizinischen Theorien seiner Zeit liegen. Erstens wird gezeigt, wie die Begriffe der Potenzierung, der Potenzreihe und der Differential- und Integralrechnung bei Novalis aufgrund einer Philosophie der Mathematik als Metaphern fur die romantischen Ideen verstanden wurden. Zweitens wird der Mehr-Raumbegriff bei Novalis untersucht. Nach Novalis ist das Paradies das ursprungliche Einssein des Universums, bzw. bildet es "einen Mittelpunkt". Aber, so meint er, da alle Dinge eine Zentrifugaltendenz besitzen, ist nun "das Paradies uber die Erde verstreut". Infolgedessen entstehen mehrere "Zeitenflachen mit Raumwurfeln". Drittens wird gezeigt, dass das dichterische Produktionsverfahren bei Novalis mit dem chemischen Mischungs-, Assoziations- und Katenationsprozess verwandt ist. Schwerpunkte dieser Untersuchung sind der von der Chemie beeinflusste Sprauchgebrauch der Zeit sowie dessen spezifische poetologische Konsequenzen. Zuletzt wird der enge Zusammenhang zwischen der Poesie des Novalis und der romantischen Medizin behandelt. Browns Erregungstheorie, der Galvanismus und Mesmers animalischer Magnetismus werden von Novalis ernsthaft rezipiert und metaphysisch gedeutet. Bei Novalis geraten Poesie und Medizin in eine ursprungliche Verbindung, die uber jede Kuration im engeren Sinn hinausfuhrt.