Im 「Prolog im Himmel」 stehen sich der Herr und Mephisto gegenuber und verhandeln, ob der Mensch Faust gerettet werden kann oder nicht. Mephisto behauptet, der Mensch habe die Vernunft, um nur tierischer zu werden. Aber der Herr meint, der gute Mensch sei in seinem dunklen Drange sich des rechten Weges wohl bewusst. Und diese Gegenuberstellung dauert bis zum Ende der Faust-Wanderschaft. In den Szenen Auerbachs Keller und Hexenkuche entwickelt sich die anfangliche Form dieser Gegenuberstellung. In beiden Szenen deutet alles auf das zum Tierischen drangende innere Geschehen hin. Ganz im Zeichen des Tierischen steht schließlich die Sexualorgie der Walpurgisnacht. Beide Szenen sind voll von Tiermetaphorik und dem Tierischen. Seit je bedient sich die Satire mit Vorliebe der Tiermetaphorik. In den satirischen Liedern der Szene Auerbachs Keller verwendete auch Goethe diese gattungsbedingte Tiermetaphorik. So verbinden sich Sinnlichkeit und Satire auf das engste, und dies gilt dann in noch starkerem Maße fur die Hexenkuche und Walpurgisnacht. Aufschlußreich fur Goethes spatere Einstellung ist die entschieden antirevolutionare Umgestaltung der Szene Auerbachs Keller. Man kann darin einen direkten Reflex auf das Geschehen der Franzosischen Revolution sehen, denn er uberarbeitete Auerbachs Keller kurz vor der Herausgabe des Fragments von 1790. Erst im Kontext der spater eingefugten Freiheitsparole ergibt sich der Aspekt eines zerstorerischen Umschlags von Freiheit. Im ganzen also beabsichtigte Goethe mit der Szene Auerbachs Keller auch eine politische Satire. Sie wendet sich gegen vielerlei Richtungen: gegen kirchliche und hofische Korruption ebenso wie gegen freiheitliche Volksbewegungen. Vor allem aber enthalten die Zeremonien, mit denen die Hexe den verjungenden Zaubertrank verabreicht, einen satirischen Angriff auf Kirche und Theologie. Besonders benutzt Mephisto die Gelegenheit des Hexen-Einmaleins, um die christliche Lehre von der gottlichen Dreieinigkeit zu kritisieren. Beiden Szenen gemeinsam ist die kritische Reaktion auf die Franzosische Revolution. Goethe klagt die herrschenden Kreise der Mitschuld am Ausbruch der Revolution an. Aber er glaubt auch nicht an die Vernunft des Volkes. Er sagt, wer beschutze die Menge gegen die Menge? Goethes Ansicht uber die Masse hat sich offensichtlich im Alter nicht grundsatzlich geandert. Nach wie vor erfaßt er sie mit der Metapher einer unberechenbaren Naturgewalt. Daraus resultiert Goethes konservativer Freiheitsbegriff. Goethe sieht Freiheit nur da, wo ein freies Volk Freiheit nicht als Freisein von einem Herrscher versteht, sondern sich unterordnen kann. Dass Freiheit mit Tatigkeit und Verantwortung verbunden ist, spiegeln Goethes letzte Worte im funften Akt wider, wo es heißt. “Nur der verdient sich Freiheit wie das Leben./ Der taglich sie erobern muß!” Nach heutiger Sicht der modernen Demokratie wirkt Goethe sicher konservativ. Goethe, den Karl Marx am liebsten gelesen hat, war die Freiheit kein letztes Ziel, sondern ein Etwas, das man immer erobern muss. Ich meine, das ruhrt von Goethes bestandig experimentierendem Geist her, der an kein Abstraktes, keine leere Idee glaubt. Ihm waren sogar die Vaterlandsliebe und der Freiheitsbegriff fremd. Er verneinte alle abstrakten Parolen. Ich sehe ihn als einen gesunden Kampfer der sowohl deutschen als auch weltburgerlichen Kultur. Mit hartnackigem Realismus setzte er sich inmitten der ihn politisch-orientiert kritisierenden Stimmen durch. Wie Herder sagte, war Goethe von Kopf bis Fuß ein praktizierender Aufklarer. Das war sein lebenslanglicher Gang. Auf jeden Fall bleibt das Problem ‘Goethe und die Demokratie’ offen, damals wie heute.