Johann Gottfried Herder hat eine ambivalente Einstellung zur Ubersetzung. Einerseits außert er Zweifel an der Ubersetzbarkeit des Originals, was sich in dessen Gleichsetzung mit einer “Jungfrau” zeigt, die noch keinen fremden Mann kennt. Andererseits kommt er zur Erkenntnis, dass die Ubersetzung unumganglich ist. Dies drUckt sich in einer Metapher aus, wo die Ubersetzung durch die Suche der Biene nach Honig ersetzt wird, auf der sie bestimmt mit einer fremden Welt in BerUhrung kommt. Angesichts der damals im Vergleich mit anderen europaischen Landern relativ wenig entwickelten kulturellen Lage in Deutschland erscheint bei Herder die Ubersetzung als ein notwendiges Mittel, die deutsche Sprache und Literatur auszubilden und zu bereichern. Herder macht zwar Gebrauch von verschiedenen Ubersetzungsmethoden, aber diese kann man unter dem Gesichtpunkt einer “verfremdenden” Ubersetzung erfassen, wo sich der Ubersetzer dem Original anpasst und dementsprechend nicht “treu” gegenUber seiner Muttersprache ist. In dieser Abhandlung werden Herders Ubersetzungstatigkeiten im Hinblick auf die “verfremdende” Ubersetzung in Betracht gezogen: die wortgetreue, die “tonbewahrende” und die “erklarende” Ubersetzung. Die ersten beiden orientieren sich an dem Original, wahrend sich die letzte dem Rezipienten zuwendet. In diesem Fall wird er jedoch durch das Zusammenspiel von Ubersetzung, Kommentar und Anmerkung verfremdet.