Die vorliegende Arbeit zielt darauf, Doris Dorries Film Keiner liebt mich (1994) vor dem Hintergrund einer Orpheus-Rezeption ins Auge zu fassen, welcher bisher kaum Beachtung geschenkt wurde. Die Figur Orfeo erinnert zunachst in vieler Hinsicht an Orpheus aus der griechischen Mythologie. Die Heldin Fanny Fink wird wie Eurydike mit Hilfe von Orfeo aus der "Holle“ herausgeholfen. Die unter Einsamkeit und Depression leidende Frau befahigt sich durch die freundschaftliche Liebe zu Orfeo dazu, der wahren Liebe habhaft zu werden. Dieser beeinflusst auf seltsame Weise nicht nur Fink, sondern auch seine Nachbarschaft, Nachstenliebe zu praktizieren. Andererseits ist der schwarze Orfeo mit der Hauptfigur des Films Black Orpheus (Orfeu Negro 1959) von Marcel Camus zu vergleichen, in dem die antike Geschichte in das moderne Rio de Janeiro versetzt wurde. Die beiden Filme haben eine unUbersehbare strukturelle Parallelitat: Orfeo/Orpheus ist in den beiden Filmen Sanger und Tanzer zugleich. Er steht also in der afrikanischen Tradition. Und beide Filme haben den Karneval als Hintergrund. DarUber hinaus lebt Orfeo/Orpheus im gettoisierten Viertel der Großstadt. Er ist ein Außenseiter. An dieser Stelle wird deutlich, dass Dorries Aktualisierung des Orpheus-Stoffes mit Bezug auf den sozialen Hintergrund der Multikulti-Gesellschaft nach der Wende in Deutschland zur Geltung kommt. Um die Gesellschaft kritisch zu betrachten, holt die Regisseurin eine Reihe Außenseiter in den Film herein, die auf Erloser warten. Am Ende feiern die Leute eine Party. Der scheinbar glUckliche Schluss des Films hinterlasst jedoch einen bitteren Nachgeschmack, denn die Zukunft ist bei keinem der Protagonisten gesichert.